Tourtagebuch Tag 19 – Wir irren durch die Wüste

Eigentlich sollten wir es ja mittlerweile besser wissen: Wenn im Roadbook eine Zeitangabe steht, dann hat diese höchstens empfehlenden Charakter.
Wörtlich sollte zwischen 07:00 und 09:00 Uhr Uhr ein Wüstenrennen mit Zeitnahme stattfinden. Da wir nicht immer die letzten sein wollten, haben wir schon um 06:40 Uhr aus unseren Zelten gequält. Nun, wie nicht anders zu erwarten, sollte es nach 09:00 werden, bis es endlich losgeht. War ja klar…

Die Wartezeit bis dahin haben wir mit einem kleinen Foto-Shooting mit Tim in der morgendlichen Wüstensonne überbrückt. Währenddessen kriecht Frederick unter unseren Shrotty – Verzeihung Shorty – um sich die Servolenkung anzusehen. Diese hat nämlich seit zwei Tagen einen kleinen Knacks. Die Empfehlung geht dahin, Shorty möglichst schonen. Gut, so soll es sein.

Für etwas morgendlichen Unmut sorgt das Frühstück: Von den 4 Kilo Brot sind nur drei über und Reto beschliesst kurzerhand, dieses zu rationieren mit der Begründung, dass wir nicht genug für das Wüsten-Fondue hätten. Gut, mag ja sein, aber irgendwie hatte sich Gianpaolo mehr als zwei Rädchen Wurst ohne nichts erhofft, und drei Kilo Brot reichen bei 8 Kilo Käse sowieso nirgends hin…

Mit Hunger im Bauch starten wir zum Wüstenrennen, allerdings nehmen nur „Indy“ und „Henry“ teil, „Shorty“ soll ja geschont werden.
Die Aufgabe: Es muss eine Wegstrecke von 2 Kilometern gefahren werden, auf halber Strecke steht ein Fahrzeug des OKs zur Markierung des Wendepunktes. Wir haben die sagenhafte Zeit von 80.5 Sekunden eingefahren, da die Zeit des langsamsten Fahrzeugs zählt. Wir wären mit Sicherheit schneller gewesen, wäre „Henry“ nicht in voller Geschwindigkeit am OK-Fahrzeug vorbeigerauscht statt wie vorgesehen zu wenden.

Anschliessend geht’s zum offiziellen Start der Wüstenrallye. Es ist schonViertel nach Zehn als „Indy“ die Rampe hochfährt um durch das Starttor zu fahren, doch plötzlich knarzt und knackt es bedenklich unter uns: Wir haben wohl touchiert! Da gibt’s nur eines, nämlich zurückzusetzen, denn auch unser „Indy“ hat nicht die nötige Bodenfreiheit, dass wir die Weiterfahrt riskieren wollen. Langsam, langsam, langsam rollen wir die Rampe zurück, doch dann verhängt sich unsere Frontschürze in einem Vorsprung. Es wir das bemerken, ist es bereits zu spät, und mit einem lauten Knall verabschiedet sich die Schürze ab in die Botanik. Ein filmreifer Moment den wir glücklicherweise auch auf Film gebannt haben.

Wir steigen aus und schauen uns die Misere aus. Vorne tritt irgendwo Flüssigkeit aus, doch es zeigt sich schnell, dass es nur das Spritzwasser für die Frontscheinwerfer ist, die Zuleitung wurde zerrissen. Mit Hilfe von Sugru und Industriekleber dichten wir die gebrochene Leitung ab. Die Schürze befestigen wir mit unzähligen Kabelbindern und meterweise Duct Tape. Die ganze Aktion dauert 20 Minuten, danach sieht „Indy“ wieder aus wie neu. Kein Grund für einen mehrtätigen Werkstattaufenthalt wie bei „Henry“ und „Shorty“. So geht das! 😉

Unser Weg führt uns danach weiter, quer durch die Wüste. Die Landschaft ist öde, staubig, felsig, die Weite ebenso beeindruckend wie die enormen Temperaturen. Zum Glück haben wir eine Klimaanlage 🙂
Irgendwann kommt Steven die grandiose Idee, aus dem Fenster der Beifahrerseite zu lehnen um Fotos zu schiessen. Als er die Scheibe runterkurbelt trifft uns genau in dem Augenblick ein Windstoss. Es wird jede Menge Sand aufgewirbelt, ein Grossteil dessen schlägt sich in unserem „Indy“ nieder. Ab diesem Zeitpunkt haben wir eine Innenausstattung in der Farbe unserer Karosserielackierung 🙂

Wir fahren eine ganze Zeit lang durch die Wüste, von anderen Rallye-Fahrzeugen weit und breit keine Spur. Wir prüfen die Angaben im Roadbook und stellen fest, dass uns der Weg, dem wir folgenden, eher südwestlich denn südlich führt. Da vor uns Reifenspuren im Sand zu sehen sind, fahren wir dennoch weiter. Irgendwann sehen wir am Horizent Staubfahnen, denen wir kontinuerlich näher kommen. Zwei andere Teams befinden sich vor uns, was uns doch etwas Hoffnung gibt, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden könnten. Zumindest sind wir nicht mehr allein unterwegs 😉

Nach einiger Zeit kommen wir an eine grosse Hauptstrasse, der wir für einige Kilometer ostwärts folgen. Dort befindet sich unser erstes Zwischenziel, ein antikes, halb zerfallenes Bad inmitten der Wüste. Wir verweilen hier einige Zeit und fahren danach westwärts zum nächsten Zwischenziel. Eigentlich hätten wir ja erneut den Weg durch die Wüste nehmen sollen, der Wüstenpfad verläuft 100 Meter parallel zur Hauptstrasse, doch nach all der Rüttelei haben wir irgendwie keine Lust und nehmen den Weg des geringsten Wiederstands.
Nach kurzer Zeit erreichen wir ein verlassenes Wüstenkastell namens Qasr al-Kharanah. Nach einer ausgiebigen Besichtigung nehmen wir im Beduinenzelt einen Tee zu uns und beraten über das weitere Vorgehen. Da wir offenkundig zu wenig Lebensmittel dabei haben, entschliessen wir uns das Team zu trennen. „Shorty“ und „Henry“ um Reto, Jens, Emanuel und Fran sollten dem weiteren Routenverlauf durch die Wüste folgen, während sich Team „Indy“ um Steven und Gianpaolo nach Amman absetzt um dort einzukaufen.

Und so machen sich die Teams auf ihre unterschiedlichen Wege. Während „Shorty“ und „Henry“ durch die Wüste irren, brettert „Indy“ über die Hauptstrasse. Unterwegs entbrennt eine Diskussion darüber, was genau die Definition eines Tunnels ist. Während unserer vergangenen Fahrt durch den Balkan hatten wir uns nämlich darauf geeinigt, dass wir unsere Sirene in einem Tunnel grundsätzlich immer einschalten dürfen.

Mittlerweile sind wir soweit, dass selbst Hochspannungsleitungen, am Strassenrand geparkte Fahrzeuge, oder ebensolche die wir im Überholen im Begriff sind, ebenso als Tunnel gelten, wie auch grundsätzlich alles andere auch. Hauptsache die Sirene läuft 😉

In Amman besorgen wir uns in einem Supermarkt ausreichend Aufschnitt, Käse, Knabbereien und Schokolade. Nach einer Weile finden wir auch eine Bäckerei, wo wir drei riesige Taschen voll mit Brot erstehen, es sind sicher 10 Kilo Brot, und das für umgerechnet 2 Franken. Unglaublich!

Auf dem Rückweg halten wir noch an einer der vielen Strassenbrätereien, wo wir uns Grillspiesse mit Fladenbrot mit auf den Weg nehmen. Während unsere Spiesschen grilliert werden, kommt ein Jordanier mit einem Schaf im Schlepptau daher und betrifft die Metzgerei, vor deren Eingang eine frisch ausgenomme Ziege frei in der Luft baumelt. Interessiert folgen wir der Aufforderung des Metzgers ihm zu folgen. Hinten im Schlachtraum werden wir Zeuge wie der Metzger das Tier durch einen Kehlenschnitt tötet. Das ist die hiesige Tötungsform streng nach dem islamischen Glauben, Schächtung genannt. Wir sind nicht wirklich schockiert, dennoch empfinden wir Mitleid mit dem Tier, das sich noch einige Zeit im Todeskampf windet. Die bei uns praktizierte Tötung durch einen Bolzenschuss ist irgendwie humaner.

Auf dem Rückweg zum Kastell Qasr Al-Kharanah kommen wir an einem Strassenhändler vorbei, der Wassermelonen verkauft. Wir haben diese kaum ins Auto verladen als uns eine SMS von unseren Kollegen erreicht: Sie seien die letzten drei Stunden durch die Wüste geirrt und nun auf dem Rückweg, da die Wüste mit „Henry“ infolge mangelnder Bodenfreiheit kaum zu durchqueren sei.

Während wir bei Qars Al-Kharanah warten, geben wir einem anderen Team, welches dort eines ihrer Autos notdürftig repariert, etwas von unserem Essen ab. Andere Kollegen, die nach kurzer Zeit mit einem platten Reifen dort eintreffen, helfen wir kurz mit unserem Kompressor aus, da ihr eigener den Geist aufgegeben hat.

Unsere eigenen Team-Kollegen treffen wir erst nach zwei Stunden ein paar Kilometer weiter die Strasse runter wieder. Nachdem auch Sie kurz eine Kleinigkeit gegessen hatten – seit dem Morgenessen bestehend aus ein paar Wursträdchen sind schon als 10 Stunden ohne Mahlzeit vergangen – brechen wir auf der Hauptstrasse Richtung Amman auf. Neben „Shorty“ kränkelt nun auch „Henry“ wieder, ein weiteres Mal macht uns sein Auspuff Sorgen, der für eine beeindrückende Lärmkulisse sorgt und mittlerweile bedeneklich weit nach unten hängt und ziemlich verbeult ist. Unser Plan: Wir biegen nach Amman südwärts auf die 15 in Richtung Al Qatrana ab um von dort aus ostwärts auf der Militärstrasse in die Wüste zum Camp zu fahren.

Doch das Schicksal uns ist nicht wohl gesonnen: Wenige Kilometer vor Amman sehen wir bei „Shorty“ etwas herunterhängen, ein Schrei gellt durch den Äther und Jens steuert den Wagen innert Sekunden auf den Pannenstreifen. Mist: Der Keilriehmen ist ausgefädelt und hängt herunter. Offenbar wurde durch die Rüttelei die Wasserpumpe aus der Verankerung gerissen, an eine Weiterfahrt ist unter diesen Umständen nicht zu denken. Das bestätigt uns auch ein Kollege eines anderen Rallye-Teams, das extra wegen uns abgehalten hat.

Wir entscheiden uns dafür, „Shorty“ zum Hotel Crowne Plaza am Toten Meer zu schleppen, schliesslich werden wir am kommenden Tag ohnehin dort sein. Nun müssen wir nur noch einen Pannendienst organisieren. Wir haben Glück im Unglück: Zwei Autos halten auf dem Pannenstreifen und vier Jordanier steigen aus. Einer von Ihnen spricht fliessend englisch und hört sich unsere Geschichte an. Sie bieten spontan ihre Hilfe an und besorgen uns einen Abschleppwagen. Doch nicht nur das, einer der vier scheint ein Imam zu sein, der es als seine Menschenpflicht erachtet, uns zu helfen, und so bezahlt er – entgegen unserem Wunsch – den Abschleppdienst. Wir unterhalten uns noch eine Weile bis der Abschleppdienst eintrifft. Danach verabschieden wir uns herzlich, natürlich nicht ohne ein paar Geschenke zu verteilen. Wir übergeben den Jordaniern auch unseren Schulranzen, den wir seit Oberstaufen mit uns rumschleppen. Eigentlich hätten wir diesen ja bereits in Israel bei einem Treffen in einer Schule an ein Schulkind abgeben konnten. Dies fiel jedoch aufgrund des Zeitdrucks flach, aber wir sind überzeugt, dass er bei den Jordaniern gut aufgehoben ist um an richtigen Ort ankommt.

Die folgende Fahrt zum Toten Meer verläuft eher unspektakulär, wenn man einmal von dem Bombardement auf „Indy“ absieht. Steven und Gianpaolo haben beinahe einen Herzinfarkt als als dem Nichts heraus plötzlich etwas gegen die Windschutzscheibe knallt. Was es genau war, ob ein Stein, ein Ball oder etwas anderes, konnte nie abgeschliessend geklärt werden. Seitdem ziert eine dreissig Zentimeter durchmessende Delle unsere Windschutzscheibe, die glücklicherweise auf der Innenseite nicht gesplittert ist.

Im Hotel angekommen, laden wir „Shorty“ auf dem Parkplatz ab. Jens votiert dafür im Hotel zu bleiben, der Rest der Gruppe entscheidet sich dafür, den ursprünglichen Weg nach Al Qatrana wieder aufzunehmen und ins Wüstencamp zu fahren.

Es ist 22:30 Uhr als wir endlich wieder unterwegs sind. Gegen Mitternacht erreichen wir die Einfahrt zum Militärgelande bei Al Qatrana.
Die Soldaten weisen uns den Weg: Wir sollen 23 Kilometer dem Weg folgen und uns dann nach dem Licht orientieren.

Leichter gesagt als getan. Abgesehen davon, dass uns einmal mehr ungezählte Schlaglöcher daran hindern schnell voranzukommen, scheinen wir irgendwo einen Abzweiger – wenn man in der Wüste überhaupt davon sprechen kann – verpasst zu haben. Irgendwann kommen wir an eine Stelle, wo es einfach nicht mehr weitergeht, also wieder zurück. Dumm nur, dass die Funkdurchsage „Position halten“ in ihrer Bedeutung wohl nicht allen klar ist, und so sehen wir uns kurzerhand von „Henry“ blockiert. Das anschliessende Wendemanöver gestaltet sich denn auch zeitaufwändiger als nötig. Immerhin finden wir kurz darauf einen Weg zwischen zwei Dünen hindurch auf die Ebene hinunter, in Richtung des grellen Lichts.
Da es in der Wüste stockdunkel ist und an geeigneten Objekten fehlt, die Licht zurückwerfen könnten, ist es unmöglich, die Distanzen einzuschätzen. Uns beschleicht das dumpfe Gefühl, von Wald umgeben zu sein, wobei das natürlich ein völlig abstruses Gedanke ist.

Irgendwann erreichen wir auch endlich das Fahrercamp, wo wir uns gleich einrichten. Es ist nach 01:00 Uhr als wir unsere Gasbrenner anwerfen und das Fondue aufkochen. Die meisten Leute schlafen bereits, und so gesellen sich nur wenige Kameraden zu uns. Dabei hatten wir doch Fondue für 30 Personen dabei … 😉
Zwei Mitarbeiter vom ZDF, die eine Reportage vor Ort machen, gesellen sich ebenfalls dazu und zeichnen das Event auf. Auch sie kommen natürlich in den Genuss eines echten schweizer Fondues inmitten der jordanischen Wüste. Und wer hat’s erfunden: Die Schweizer 😉

Die nächtliche Idylle wird jah von einem lauten Knall unterbrochen: Bei unseren Nachbarn hat wohl jemand eine Gaskartouche ins Feuer geworfen. Durch die Explosion wird die Kohle weitherum verstreut, einige Stühle fangen Feuer. Zum Glück haben wir einen Feuerlöscher dabei und können so eine grössere Katastrophe verhindern.

Der Wüstensand ist übrigens hervorragend dazu geeignet um Buchstaben auszuheben, die sich dank etwas Benzin in Brand setzen lassen. Gianpaolo hat da zwar mehr eine Nachricht an seine Liebste im Sinn, es reicht aber auch für ein grosses C und ein grosses R, aka Camel Raiders. Die ganze Aktion führen in ausreichendem Abstand zum Camp durch, den Feuerlöschen griffbereit.

Während die Flammen noch in der Dunkelheit züngeln, fallen die ersten von uns bereits in einen tiefen Schlaf.

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